Der Vetter aus Dingsda
Operette von Eduard Künneke
Text von Hermann Haller und Rideamus nach einem Lustspiel von Max Kempner-Hochstaedt
Theater am Domhof
Premiere 15.11.2025
Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 30 Minuten, inkl. Pause nach 55 Minuten (nach dem 1. Teil)
Vor sieben Jahren ist Julias Vetter Roderich ins ferne Dingsda ausgewandert. Bei der Abreise hatten sich beide ewige Liebe geschworen und die Verabredung getroffen, sich jede Nacht über den Mond Liebesgrüße zu schicken. Seither singt Julia allabendlich den „strahlenden Mond, der am Himmelszelt wohnt“ an und hofft, Roderich zur Rückkehr zu bewegen. Plötzlich tauchen gleich zwei fremde Männer auf und behaupten, Roderich zu sein.
Wer ist nun wer und wie mit wem verlobt, verheiratet, geschieden, verschwägert oder einfach nur verliebt?
Im lässig-flotten Swing der 1920er Jahre werden in Eduard Künnekes origineller Operette alle Familiengeheimnisse gelüftet und neues Liebesglück geschmiedet.
Erster Teil – Ankunft des ersten Fremden
Julia de Weert hat früh ihre Eltern verloren, aber nicht deren Geld. Das macht sie für Onkel und Tante attraktiv, die die Vormundschaft für die Minderjährige übernommen haben und deren Erbe verschlemmen. Doch das Mädchen ist bald volljährig und die Fettlebe wäre damit vorbei. Deshalb soll Julia nach dem Willen des Onkels dessen Neffen August Kuhbrot heiraten, damit das Geld in der Familie bleibt. Julias Pläne gehen aber anders: Vor sieben Jahren hat sie ihrem Vetter Roderich ewige Treue geschworen. Leider ist der seitdem irgendwo in Batavia verschollen. Doch Julia hofft noch immer auf seine Rückkehr und schickt ihm allabendlich über den Mond Liebesgrüße zu. Landratssohn Egon von Wildenhagen, der ebenfalls in Julia eine gute Partie sieht, übermittelt – nicht ganz uneigennützig – die frohe Botschaft, dass das Gericht Julia vorzeitig für volljährig erklärt habe und sie somit nicht mehr unter der Vormundschaft ihres Onkels stehe. Da plötzlich taucht ein geheimnisvoller Fremder auf. Julia und ihre Freundin Hannchen sind von ihm hingerissen. Übermütig bieten sie ihm ein Bett zum Übernachten an. Am nächsten Morgen bringt der Fremde
über Hannchen in Erfahrung, dass Julia bereits an den vermissten Roderich vergeben ist. Kurzerhand gibt er sich als
dieser aus.
Zweiter Teil – Ankunft des zweiten Fremden
Julia fällt vor Glück fast in Ohnmacht. Der Onkel sieht das Erbe dahinschwinden. Noch einmal lässt er nach seinem säumigen
Neffen August fragen. Da platzt Egon mit einem Telegramm vom deutschen Konsulat in Batavia herein: Roderich sei erst vor sechs Wochen mit dem Schiff aufgebrochen und könne daher noch gar nicht hier im Haus angekommen sein. Der falsche Roderich gesteht, wahrt aber seine Anonymität: Er sei „nur ein armer Wandergesell“ – und wird von der tief verletzten Julia vor die Tür gesetzt. Kaum ist der erste Fremde außer Sichtweite, taucht ein zweiter Fremder auf und macht auf Hannchen nachhaltigen Eindruck. Diesmal ist es der wahre Roderich aus Batavia. Und da sich dieser nur noch schwach an die frühere Liebelei mit Julia erinnern kann, verlobt er sich kurzerhand mit Hannchen, während sich Julia auf ihre wahren Gefühle zum ersten Fremden besinnt, der – wir ahnten es bereits – August Kuhbrot ist.
Ende gut, alles gut! Nur Egon geht leer aus.
Julia de Weert: Susanna Edelmann
Hannchen, ihre Freundin: Marlene Metzger
Josef "Josse" Kuhbrot, Julias Onkel: Jan Friedrich Eggers
Wilhelmine "Wimpel", seine Frau: Nadia Steinhardt
Egon von Wildenhagen: Daniel Preis
August Kuhbrot, der erste Fremde: Florian Wugk
Roderich de Weert, der zweite Fremde: Dominic Barberi
Diener Karl: Mark Hamman
Diener Hans: Silvio Heil
Osnabrücker Symphonieorchester
Musikalische Leitung: Benjamin Huth
Nachdirigat: Seong-Bin Oh (19.12., 27.12., 31.12.2025 (15:00 Uhr), 18.01.2026), Markus Lafleur (29.01.2026)
Inszenierung: Christian Thausing
Choreographie: Seân Stephens
Bühne: Timo Dentler
Kostüme: Okarina Peter
Dramaturgie: Juliane Piontek
Regieassistenz, Abendspielleitung: Stephanie Schümann · Choreographische Assistenz: Marine Sanchez Egasse · Studienleitung: Markus Lafleur · Musikalische Einstudierung: Cécile Sagnier, Alfred Chen · Inspizienz: Anja Flemming · Ausstattungsassistenz: Lena Stühmeier · Ausstattungshospitanz: Nora Schuder · Theatervermittlung: Paula Römer / Joanna Willenbrink · Technischer Leiter: Clemens Michelfeit · Produktionsleiter: Felix Ridder · Bühnenmeister: Sascha Niebuhr ·Beleuchtung: Julian Rickert , Kai Bornemann · Ton: Tim Klöpper · Requisite: Kira Strohschnieder, Michael Janus · Maske: Lena Blecks , Silke Ludger · Garderobe Damen: Jana Modrzejewski · Garderobe Herren: Tatjana Schwab · Dekorationswerkstätten: Tischlerei, Schlosserei, Polsterei, Malsaal und Theaterplastik
Vorab-Fotos: Jane Jachens
Ich bin nur ein armer Wandergesell
von Juliane Piontek
Anfang der 1920er Jahre verabreichten die Broadway-Importe der Operette in Europa eine regelrechte Vitaminspritze. „Ein neues Tempo rannte gegen den Wiener Walzer an“, schrieb der Zeitzeuge Paul Markus. „Die jungen Leute, die jahrelang in den Schützengräben ihr Vergnügen entbehrt hatten, hupften in den abgehackten Synkopen des Foxtrotts. Die Welt drehte sich nicht mehr im Dreivierteltakt, sondern schob, hüpfte und lief beim Tanz.“
Eines der besten Beispiele dafür ist Eduard Künnekes Operette Der Vetter aus Dingsda, die am 15. April 1921 im Theater am Nollendorfplatz Berlin ihre Uraufführung erlebte und Künnekes erfolgreichstes Stück werden sollte. Eine Verwechlungs- und Erbschleicher-Komödie in bester Boulevard-Manier, die mit neun Personen auskommt und in der es mal nicht um gestandene Liebespaare geht, sondern um wirklich junge Menschen, die frech gegen die Alten aufbegehren.
Kaum eine Nummer, hinter der sich nicht ein Modetanz verbirgt und der Komponist virtuos mit den angesagten Rhythmen seiner Zeit jongliert: ob in einem schwelgerischen Valse boston (Strahlender Mond), im flotten One-Step (O werter Verehrter) und laszivem Tango (Kindchen, du musst nicht so schrecklich viel denken) oder im exotischen Batavia-Foxtrott. Künneke, ein Meister des Ohrwurms, erschafft in seinem Vetter aus Dingsda einen Reichtum an eingängigen Melodien und verbindet sie gekonnt mit populären Tanzstilen und spätromantischen Orchesterklängen, die den Schüler von Max Bruch nicht verleugnen können.
Geboren wurde Eduard Künneke 1885 nahe der deutsch-holländischen Grenze in Emmerich. Offizielle Quellen behaupten, sein Vater stamme aus Osnabrück, aber Künnekes Tochter Evelyn nennt Groningen als Geburtsstadt. Fest steht aber, dass Künnekes Mutter in Ibbenbüren, nahe Osnabrück geboren wurde.
Mit 18 Jahren ging Künneke in die Weltmetropole Berlin studieren, wurde Dirigent, Pianist, Chorleiter und Arrangeur an verschiedenen Theatern und teilte den ehrgeizigen Wunsch vieler seiner Operetten komponierenden Zeitgenossen: ein anerkannter Komponist ernster Musik zu werden. Wirklich berühmt wurde er aber mit seiner Unterhaltungsmusik, ein Umstand, der Künneke nicht wirklich zu einem glücklichen Menschen machte. Wie seine Tochter Evelyn pointiert berichtete, komponierte er nur, wenn er Geld brauchte; spielte er zwar ständig Klavier, aber nie seine eigenen Werke.
Diese schöpferische Unzufriedenheit füllte Künneke mit anderen Interessen auf. So war er ein leidenschaftlicher Hobby-Chemiker, der die familiäre Wohnung in ein Laboratorium verwandelte. Reagenzgläser füllten riesige Regale, die er selbst konzipiert hatte und sich patentieren ließ. Jahrelang war Künneke mit der Neuübersetzung des angelsächsischen Beowulf-Epos beschäftigt, wofür ihn die Universität Marburg die Ehrendoktorwürde verlieh. Er verstand etwas von indischer Religionsphilosophie und konnte über die Kultur der Sumerer ebenso dozieren wie über deutsche Geschichte und juristische Fragen des Urheberrechts.
Als die Nationasozialisten an die Macht kamen, passte sich Künneke an. Bitter resümierte er später: „Die Verhältnisse waren stärker als ich.“ Weil er mit einer halbjüdischen Frau verheiratet war, galt sein Haushalt zwar als „jüdisch versippt“, aber man wollte und konnte vor allem nicht nach dem kulturpolitischen Kahlschlag, der so viele jüdische Künstlerinnen und Künstler mit Arbeitsverbot belegt hatte, auf einen derartig populären Unterhaltungskomponisten verzichten. So veranlasste Propagandaminister Joseph Goebbels: „Es wird hiermit angeordnet, dass dem Komponisten Eduard Künneke trotz seiner nichtarischen Ehefrau keinerlei Schwierigkeiten bereitet werden und er bei der Aufführung seiner Werke in Deutschland ungehindert seiner künstlerischen Betätigung nachgehen darf.“ Bei Kriegsende ist Künneke alt und verbraucht. Die letzten Lebensjahre werden von Krankheit und Medikamentenabhängigkeit überschattet. Er stirbt 1953 in Berlin, im selben Jahr wie Emmerich Kálmán.
Seinen Humor hatte Künneke aber bis zum Schluss nicht verloren. Die Inspiration, so antwortete er einmal einer Verehrerin, müsse man behutsam an sich herankommen lassen. „Ich arbeite nur nachts. Gestern beispielsweise setzte ich mich abends an den Flügel. Nichts fiel mir ein. Ich trank einen Kognak. Die Phantasie blieb stumm. Ich trank einen zweiten – nichts. Einen dritten, einen vierten. Man darf nicht nachgeben. Um Mitternacht endlich hatte ich es geschafft.“ – „Da kam also der Geist über Sie?“, fragte die Dame und Künneke antwortete: „Das gerade nicht – aber ich hatte zwanzig herrliche Kognaks getrunken.“
Als Künneke 1948 seiner Geburtsstadt Emmerich einen Besuch abstattete, schrieb er ins Goldene Buch: „Ich bin nur ein armer Wandergesell, gute Nacht, liebes Mädel, gut‘ Nacht“, darüber die Noten der Melodie, die ihn weltbekannt gemacht hatte. Es ist aber auch ein berührendes autobiographisches Zeugnis für einen Künstler, der in seinem Leben ein zwar oft irrender, aber stets strebender Mensch blieb.
Daniel Preis, Susanna Edelmann, Florian Wugk
Marlene Metzger, Jan Friedrich Eggers, Florian Wugk, Silvio Heil, Nadia Steinhardt
Florian Wugk, Susanna Edelmann
Marlene Metzger, Daniel Preis
Florian Wugk, Susanna Edelmann